[2007-01-10] Geschichte des Libanon#
von Martin Michael Wimmer
- Autor:
Martin Michael Wimmer
Der Libanon ist vielen Menschen im Westen ein Begriff durch die schmerzlichen Ereignisse der letzten Jahrzehnte – man denkt an den
Der Libanon ist vielen Menschen im Westen ein Begriff durch die schmerzlichen Ereignisse der letzten Jahrzehnte – man denkt an den libanesischen Bürgerkrieg (1975-1991) der das Land so tief verletzt hat, oder auch an den Krieg mit Israel im Juli 2006, an die konfessionellen Spannungen und ethnischen Konflikte, die es immer wieder gespalten haben. Über die Konflikte des vergangenen Jahrhunderts vergisst man leicht die lange und ereignisreiche Geschichte dieses Landes.
Der Libanon in der Antike und in der Heiligen Schrift#
Seit frühesten Zeiten besiedelt, ist die libanesische Küste, ein Teil der Levante, im 10. Jahrhundert v. Chr. die Heimat der blühenden phönizischen Seefahrerkultur, welche ägyptische, hittitische und andere Einflüsse der damaligen Hochkulturen aufnimmt und durch ihre rege Seefahrt zum kulturellen Austausch um das Mittelmeer beiträgt. So entwickelt sich vor dem 11. Jh. in der nordlibanesischen Hafenstadt Byblos die wohl älteste Buchstabenschrift der Welt, die phönizische Schrift. Im Hinterland erhebt sich das Libanongebirge, dessen legendäres Zedernholz nicht zuletzt zum Schmuck der Wände des Tempels des Herrn in Jerusalem diente (1Kön 6). Durch seinen Wasserreichtum, seine schneebedeckten Gipfel und dichten Wälder (Jer 18,14) ist das Libanonmassiv in der Heiligen Schrift Sinnbild für Größe (Ps 29,5-6), Reichtum (Ps 72,16; Jes 40,16) und Herrlichkeit (Jes 35,2;60,13), wird vom Propheten Hosea als Vorbild für Israel selbst verwendet (Hos 14,6-8) und steht im Hohenlied der Liebe synonym für Schönheit und Liebreiz (4,11.15;5,15). So ist die schon in der Schrift wegen ihrer Größe und Majestät besungene Zeder (Ps 92,13; Sir 24,13) bis heute das Symbol der Libanesen – und doch beginnt schon zu biblischen Zeiten die übermäßige Ausbeutung dieser Waldbestände (s. 2Kön 19,23; Jes 14,8;29,17), der in den folgenden Jahrhunderten unter den Händen der Babylonier, Perser, Griechen, Römer und Türken der Großteil der Wälder zum Opfer fallen sollten. Die südlibanesischen Hafenstädte von Tyrus und Sidon, die im 11.-9. Jh. v. Chr. ein eigenständiges Königreich bilden, sind schon in der Antike für ihren Prunk berühmt (Hes 27). Sie stehen in einem engen und oft konfliktreichen Verhältnis zu den israelitischen Königreichen; so wird der Prophet Elia hier von der Witwe in Sarepta beherbergt als er vor König Ahab von Israel fliehen muss (1Kön17). Ab dem 9. Jh. setzt sich mit dem Erstarken der orientalischen Großreiche die lange Geschichte der Fremdherrschaften an der Levante fort: auf die assyrische Eroberung um 868 v. Chr. folgt im Jahre 539 die persische Eroberung des seit 612 von den Neobybaloniern regierten Weltreiches des Nahen Ostens, das schließlich Alexander der Große nach dem entscheidenden Sieg im Jahre 333 v. Chr. zur Gänze erobert und in das neugeschaffene hellenistische Weltreich einfügt. Nach dem Zerfall des hellenistischen Reiches ist die Levante einmal mehr umkämpft, bis Antiochus III. sie im Jahre 198 v. Chr. ins Seuleukidenreich eingliedert, wonach sie schließlich beim Feldzug des römischen Generals Pompeius im Jahr 60 v. Chr. zusammen mit den umliegenden Territorien als Provinz Syrien erobert wird. Der Kontext des römischen Weltreiches verschafft dem Libanon eine Blütezeit, da die Region jetzt zum Bindeglied zwischen aramäischer und hellenistischer Kultur wird: so entsteht in Berytos, dem heutigen Beirut, die wichtigste juristische Fakultät des römischen Reiches, und ebenso entwickelt sich im ostlibanesischen Bekaa-Tal die Kultstätte Baalbek-Heliopolis mit ihren hellenisierten semitischen Kulten zur größten Tempelstadt des Reiches.
Die römisch-byzantinische Herrschaft#
Zur Zeit Christi ist das Heilige Land also gemeinsam mit dem Libanon ein Teil der römischen Provinz Syrien. Der Heiland selbst heilte im heutigen Südlibanon die Tochter einer gottesfürchtigen Heidin (Mt 15,21f.). Nach der Auferstehung predigen die Apostel in den Küstenstädten der Levante, und im heute südtürkischen Antiochia, einer Metropole des damaligen syro-aramäischen Kulturraumes, werden sie zum ersten Mal „Christen“ genannt (Apg 11,26). Während sich aber in den Küstenstädten, besonders durch die Synagogen, von Anfang an christliche Gemeinden bilden, bleiben das Hinterland und das unwegsame Libanongebirge noch jahrhundertelang fast völlig heidnisch. In den darauffolgenden Jahrhunderten entwickelt sich hier inmitten der Christenverfolgungen dann das Patriarchat von Antiochia und dem gesamten Osten, das uns in Heiligen wie dem Märtyrerpatriarchen Ignatius († 107) und den großen späteren Mönchen des syrischen Ostens (Ephräm † 373, Maron † 433, Symeon Stylites † 459, und vielen anderen) leuchtende Vorbilder hinterlassen hat. Es waren die Christen dieser Region, die das Evangelium in ganz Zentralasien und bis nach China verbreiten würden. Kaiser Konstantin der Große gewährt den Christen im Jahr 313 n. Chr. durch das Mailänder Edikt Glaubensfreiheit und verlegt 324 den Regierungssitz in die Kleinstadt Byzanz auf der europäischen Seite des Bosporus, die er zur neuen Hauptstadt des Ostens ausbauen lässt und ihr den Namen Konstantinopel gibt. Das sich jetzt rasant verbreitende Christentum des Orients gerät somit unter die politische wie religiöse Autorität der oströmischen oder byzantinischen Kaiser, deren Zentralisierungspolitik inmitten der heftigen dogmatischen Querelen des 4.-7. Jh. einerseits zur Hellenisierung der syrischen Christen unter dem Mantel der byzantinischen Reichskirche und andererseits, auch als Abgrenzung gegen die Übermacht der byzantinischen Einflussnahme, zu zahlreichen mehr oder weniger häretischen Schismen führt. Durch das Erschwachen des byzantinischen Reiches nach den Perserkriegen des 6.-7. Jh. und die harte Politik der Kaiser sowie deren dogmatischen Verirrungen, die den Widerstand der Provinzen schüren, wird die im 7. Jh. beginnende muslimische Eroberung erleichtert – sodass manche Städte ihre Tore den Arabern freiwillig öffnen, vor Freude nun endlich von Byzanz befreit zu werden.
Die arabische Herrschaft und die Kreuzzüge#
In dieser Periode verliert das syrische Christentum langsam an Gewicht, auch wenn bis ins 10./11. Jh. die Elite der Gesellschaft, mit einziger Ausnahme der arabischen Machthaber, überwiegend aus syrischen Christen besteht. Die Werke griechischer Autoren wie des Aristoteles oder des Hippokrates, die diese syrischen Gelehrten über das Altsyrische ins Arabische übertragen, ermöglichen in der Hochblüte der arabischen Geistes- und Naturwissenschaften ab dem 9. Jh. die Anknüpfung an das Wissen der griechischen Antike – diese Schriften werden später über altspanische Übersetzungen im Hochmittelalter ihren Weg in die lateinischen Universitäten des Westens finden und dort die Wissenschaften sowie die scholastische Philosophie beispielsweise eines hl. Thomas v. Aquin († 1274) mit neuen Denkweisen vorantreiben. Im Gegensatz zu dieser offenen und toleranten syrisch-arabischen Kultur der Städte, die sowohl die ummayadischen wie die seit 750 regierenden abbasidischen Kalifen fördern, kommt es in den ländlichen Gebieten immer wieder zu Auseinandersetzungen wie den Aufständen christlicher Bauern im Bekaa-Tal im Jahr 759/60. Im Kontext der Errichtung eines eigenen schiitischen Kalifats von Kario durch die nordafrikanische Dynastie der Fatimiden im 10. Jh., und deren immer restriktiver werdender religiöser Politik, die sich mit der militärischen Expansion des Kalifats östlich bis nach Syrien ausbreitet, beginnen verschiedene christliche Gruppen, vor allem aber die maronitischen Christen, ihre syrische Heimat zu verlassen und wandern in das unzugängliche Libanonmassiv aus, um sich dort vor den feindlich gesinnten Behörden in Sicherheit bringen zu können. Zur gleichen Zeit fördert die Zerstörung der Grabeskirche in Jerusalem (1009) auf Befehl des fatimidischen Kalifen dem Gedanken der bewaffneten Pilgerschaft im Westen, der schließlich 1095 im allgemeinen Aufruf zum Kreuzzug durch Papst Urban II. gipfelt. Zu diesem Zeitpunkt ist das Fatimidenkaliphat bereits stark zurückgedrängt und die sunnitischen turkstämmigen Seldschuken regieren den Orient im Namen des weitgehend machtlosen Kaliphen von Bagdad. Die Kreuzzüge hinterlassen durch die intensive Konfrontation mit dem Westen insbesonders in der kulturellen und konfessionellen Identität des libanesischen Christentums auch nach dem Fall von Akkon im Jahre 1291 tiefe Spuren. In die Zeit der Kreuzzüge fällt auch die endgültige Eingliederung der maronitischen Christen in die katholische Kirche. Eine weitere Frucht der Fatimidendynastie ist die Bewegung, die sich um den Kaliphen al-Hakim bildet, als dieser sich im Jahre 1016 zur Inkarnation Gottes erklärt. Da nur eine Minderheit seiner politischen Gefolgsleute sich ihm auch religiös anschließt, muss diese Gruppe mit Verfolgungen rechnen und emigrieren: die später als „Drusen“ bekannte Sekte siedelt sich im libanesischen Gebirge an und die Drusen leben dort bis heute als streng hierarchische initiatorische Geheimreligion.
Die mamlukische und osmanische Herrschaft#
Im Jahre 1261 stürzen die Mamluken, die als Soldatensklaven im Dienst der Ajjubidendynastie gestanden hatten, ihre ehemaligen Herren und regieren in den folgenden 300 Jahren über deren Machtbereich Syrien, Ägypten, Westarabien und einen Teil des Jemen. Unter der religiös intoleranten Mamlukenherrschaft werden die Christen und Schiiten des Libanon verfolgt und bedrängt – aus dieser Zeit stammen sowohl der Rückzug in immer verborgenere Gebirgsregionen als auch die politische Hinwendung der Christen zum Westen, insbesondere zu den italienischen Staaten von denen vor allem die Maroniten sich Schutz und Hilfe erhofften. Als die osmanische Expansion im Jahre 1516 das Libanongebirge erreicht, wird eine turkstämmige Dynastie von Gouverneuren eingesetzt, die Assafs, welche die religiöse Freiheit insbesondere der Maroniten fördern. Die Drusen im Schuf-Gebirge werden zu diesem Zeitpunkt von den durch die Mamluken geförderten Emiren der Familie Tanuch beherrscht, die ohne ihre Förderer nur mit langen blutigen Aufständen der rivalisierenden Maan Familie konfrontiert sind. Die Osmanen ernennen schließlich im Jahre 1590 Fachr ad-Din aus der Familie Maan als regionalen Emir, der schnell sein Gebiet erweitert und 1605 zum Emir über den Libanon und Teile Palästinas wird – obwohl er wegen seiner ehrgeizigen Expansionspläne 1633 in Istanbul hingerichtet wird, hat er doch den Libanon in seiner heutigen Form erstmals vereint und ihm eine niedagewesene Bedeutung gegeben. Seine Residenzstadt Deir al-Qamar im Schuf-Gebirge gibt im übrigen Zeugnis von seiner großen Offenheit seinen Untertanen gegenüber: selbst Druse, läßt er um seinen Palast in gleichem Abstand eine Moschee, eine Synagoge, ein drusisches Gebetshaus und eine Kirche errichten. Die darauffolgende Unruhe im Land wird erst durch die entfernt mit den Maan verwandte sunnitische Schihab Familie endgültig beigelegt, die ab 1697 das Emirat über das Libanongebirge ausübt. Die Schihab leben außerhalb des Schuf und stützen sich hauptsächlich auf die erstarkende maronitische Bevölkerung – im 18. Jh. beginnen die Schihab sich zu bekehren, und sind schließlich 1770 alle Maroniten. Durch eine harte Hand und kluge Diplomatie erweitern die Schihab ihr Territorium, und Emir Beschir beginnt im Jahre 1788, das einstige Reich des Fachr ad-Din wieder herzustellen. Sein Emirat kann als eine der seltenen Ausnahmen eines christlich geführten Staates im Nahen Osten gelten. Beschir wird schließlich 1840 ins Exil geschickt, da er sich mit dem ägyptischen Herrscher gegen den osmanischen Sultan verbündet hatte. Die darauf folgende Aufteilung des Libanongebirges in einen maronitischen und einen drusischen Bereich verstärkt die Spannungen, und nach blutigen Unruhen kommt es im Schuf 1860 zu großen Massakern an der maronitischen Bevölkerung. Frankreich schickt daraufhin Hilfstruppen und zwingt die Osmanen zu einer einheitlichen Lösung für den Schuf, was zur Errichtung einer christlichen osmanischen Gouvernatur mit konfessionell gemischtem demokratisch gewähltem Rat führt. Diese Zeit bringt die erste moderne Blüte des Libanon, wobei Beirut zu einem Zentrum des wirtschaftlichen und kulturellen Austausches zwischen Ost und West wird, und zugleich die Schwächung der türkischen Macht zum Hervortreten der arabischen Kultur führt. Die „arabische Renaissance“ dieser Zeit, die Nahda, bringt eine umfassende Erneuerung und Erweiterung der arabischen Kultur – insbesondere des Humanismus – wobei unter Federführung der arabischen christlichen Intellektuellen das Bewusstsein der nicht von vornherein religiös bestimmten nationalen „Arabischheit“ geweckt wird.
Der Libanon im 20. Jahrhundert#
Mit dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches 1918 beginnt die französische Besatzung, die 1920 in ein Mandat abgeändert wird um schließlich 1926 – weiterhin unter Mandat – eine eigene Republik zu werden. Damit sichert Frankreich das Bestehen des kleinen und kulturell durchmischten Landstrichs als eigenem Staat, was einerseits die christliche Mehrheit sichert, die in einem gemeinsamen syro-libanesischen Staat nur eine verschwindende Minderheit geworden wäre, und andererseits die französischen Machtinteressen gegenüber dem von England beherrschten Syrien garantiert. Gegen den Widerstand Frankreichs erklären Staatspräsident Bischara al-Khoury und Premierminister Riyadh al-Solh im Jahre 1943 die Unabhängigkeit. Der Abzug der französischen Truppen erfolgt allerdings erst 1946. Das damalige Bevölkerungsverhältnis zwischen Christen und Muslimen, nämlich sechs zu fünf, das in der ersten und einzigen Volkszählung des Libanon erhoben wurde, bestimmt bis heute die Verteilung der Parlamentssitze und auch der höchsten Staatsämter: der Staatspräsident ist immer Maronit, der Ministerpräsident Sunnit und der Parlamentspräsident Schiit. Somit kennt der Libanon das äußerst seltene System einer parlamentarischen und pluralistischen, aber nichtsdestoweniger konfessionellen Republik. Die Schwierigkeiten dieses Systems zeigen sich schon 1948, als über 100.000 vertriebene Palästinenser aus ihrer Heimat in den Libanon flüchten und in 15 Lagern untergebracht werden: auch nach heute 40 Jahren erlaubt das labile konfessionelle Gleichgewicht es nicht, ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht zuzugestehen, da dies das Proporzsystem zerstören würde. Die Frage nach dem Umgang mit den Palästinensern – und somit nach der Positionierung im beginnenden Nahost-Konflikt – führt zur ersten durchgehenden Trennung des Landes in einen „pro-westlichen“ und einen „pro-östlichen“ Block, die im wesentlichen bis heute bestehen. Angeheizt durch die Interessen der Schutzmächte des Kalten Krieges entzündet sich diese Trennung erstmals 1958, als der pro-westliche Präsident Camille Shamoun den ersten libanesischen Bürgerkrieg mit den arabischen Nationalisten lostritt und zur Schlichtung ausgerechnet amerikanische Truppen ins Land holt. Man einigt sich allerdings hier noch relativ schnell, besonders da die Armee keine Seite bezogen hat. Unter Präsident Sleiman Franjieh (1970-1976) verschärfen sich die schwelenden Probleme und Konflikte: die Armut der Landarbeiter, die teilweise kastenhafte konfessionelle Trennung, die seit 1967 im Libanon präsente PLO und das Überhandnehmen der von allen Parteien aufgestellten Milizen und Kampfbünde führen zu einer Situation, in der schließlich 1975 der Staat zerfällt und der Bürgerkrieg ausbricht. 1976 interveniert Syrien als Schutzmacht der pro-östlichen Gruppen, was das Eingreifen Israels auf der Seite der pro-westlichen, insbesondere der christlichen Milizen, nach sich zieht. Die Lage eskaliert vollends, als 1982 der pro-israelische Präsident Baschir Gemayel ermordet wird: die israelische Armee bombardiert und zerstört große Teile des Südlibanon und insbesondere Westbeirut, den muslimischen Teil der Hauptstadt; zugleich läßt sie den christlichen Milizen freie Hand bei den Massakern an palästiensischen Zivilisten in den Lagern Sabra und Schatila. Daraufhin zieht sich Israel bis 1985 bis zur „Sicherheitszone“ im Südlibanon zurück. Der Höhepunkt des Krieges ist das Jahr 1988, als die rivalisierenden Gegenregierungen von Armeechef Michel Aoun und Salim al-Huss um die Vormacht streiten. Auf Betreiben der Arabischen Liga wird 1989 ein Friedensabkommen im saudischen Taif unterzeichnet, das die teils sehr blutige Entwaffnung der Milizen und ab 1992 die Machtübernahme durch eine von Syrien gelenkte Marionettenregierung unter Präsident Elias Hraoui und dem Prämierminister und Millionär Rafik al-Hariri zur Folge hat. Im Rahmen dieser neuen Ordnung sind die Befugnisse des (maronitischen) Präsidenten zugunsten des (sunnitischen) Premier beschnitten. Syrien stationiert auf Grund des Taif-Abkommens 40.000 Soldaten insbesondere im Nordlibanon und regiert das Land durch seinen Geheimdienst, während der Südlibanon – wo es weite Gebiete mit schiitischer Bevölkerungsmehrheit gibt – teilweise von Israel besetzt und ansonsten von der schiitischen Widerstandsbewegung Hisbollah kontrolliert wird; die nationale Armee ist dadurch praktisch entmachtet. Nach anhaltenden Schußwechseln und der Vergeltungsoperation „Trauben des Zornes“ durch die israelische Luftwaffe im Jahr 1996 räumt der Staat Israel schließlich im Jahr 2000 den Südlibanon, der seitdem weitgehend von der Hisbollah kontrolliert wird.
Die Entwicklung des Libanon in den vergangenen Jahren#
Nach einem Zerwürfnis mit der syrischen Regierung wendet sich Rafik al-Hariri im Jahr 2005 von seinen Beschützern ab und wird kurz darauf Opfer eines spektakulären Bombenanschlags in Beirut. Die von den pro-westlichen und somit antisyrischen Gruppen geschürte öffentliche Entrüstung gipfelt am 14. März in der größten Demonstration der libanesischen Geschichte, als über eine Million Personen sich auf dem Märtyrerplatz in Beirut einfinden, um die Absetzung des Präsidenten Emile Lahoud, den Rücktritt der Regierung und den Abzug der syrischen Truppen zu fordern. Kurz darauf tritt die Regierung zurück, während der Präsident noch bis zum Ende seiner verfassungswidrig verlängerten Amtszeit weiterregiert. Während die syrische Regierung ihre Truppen abzieht, beginnt eine Phase von gezielten Bombenattentaten auf pro-westliche Politiker und Journalisten, worauf im Jahr 2006 vor allem in den christlichen Gebieten des Libanongebirges eine Serie von wahllosen Autobomben folgt, offenbar mit dem Ziel das Land zu destabilisieren. Im Wettstreit um die nun nicht mehr von Syrien besetzte Macht im Staat erwachen die alten konfessionellen Machtblöcke und teilen das Land in zwei etwa gleichgroße Teile: die Sunniten unter Saad al-Hariri (dem Sohn von Rafik al-Hariri), die ehemalige Miliz der „libanesischen Kampfkräfte“ unter Doktor Samir Geagea und die Mehrheit der Drusen unter ihrem Fürsten Walid Jumblatt formen die pro-westliche Allianz des „14. März“ (in Erinnerung an die Großdemonstration), während sich die Schiiten unter Hassan Nasrallah, die Christen der „freien patriotischen Bewegung“ unter General Michel Aoun und die übrigen Drusen unter Prinz Talal Arslan zu einem losen pro-östlichen Block zusammenschließen. Im Rahmen der Parlamentswahlen wachsen diese Spannungen bis zum Sommer 2006 an, bis die Hisbollah bei Grenzgefechten am 12. Juli zwei israelische Soldaten gefangennimmt. Israel reagiert prompt und radikal, indem es den Libanon zu Land, Luft und See abriegelt: nach der Zerstörung des Flughafens von Beirut und der Bombardierung der Straßen nach Syrien zieht die israelische Kriegsmarine vor der Küste auf, während die Luftwaffe Tag und Nacht den Südlibanon, Westbeirut und alle wirtschaftlich oder militärisch bedeutenden !Einrichtungen bombardiert – die libanesische Armee greift allerdings nicht ein. Trotz des großen militärischen Aufwandes und der zahlreichen Opfer und Zerstörungen endet der „Julikrieg“ nach 34 Tagen ohne den geringsten militärischen Erfolg für Israel – weshalb sich seitdem die technisch weit unterlegene Hisbollah Miliz als Sieger über die bis dahin unbesiegte israelische Armee fühlt, die ja eine der größten und wohl die bestausgerüstete im Nahen Osten ist. Im Jahr 2007 erlebt der Libanon den Aufstand radikaler sunnitischer Gruppen im nordlibanesischen Palästinenserlager Nahr al-Bared, den das Militär schließlich nach monatelangen Kämpfen und unter Einsatz schwerer Artillerie im September niederschlagen kann. Zugleich erwachen im Raum um Tripolis die innermuslimischen Spannungen insbesondere zwischen Sunniten und Alawiten. Die durch das lange Ringen um den neuen Präsidenten – den natürlich beide Blöcke für sich beanspruchen möchten – angespannte Lage beruhigt sich merklich durch die Wahl eines Kompromißkandidaten, des Armeechefs Michel Sleiman am 25. Mai 2008. Wieder hat hierbei die Arabische Liga eingegriffen und die verfeindeten Blöcke im saudischen Doha zu einer Einigung gezwungen. In der Neuordnung der Regierungskompetenzen unter Premier Fouad Siniora und vor allem im Ringen um die seit Jahrzehnten anstehenden Reformen spiegelt das Parlament zwar immer noch die grundlegende Spaltung des Landes wieder, der Grundkonsens wird aber unter der Führung des neuen Präsidenten durchaus gewahrt.